Vibrationsbestäubung bei tropischen Schwarzmundgewächsen
Bei der Vibrationsbestäubung kann der Blütenstaub nur freigesetzt werden, wenn Bienen auf den Blüten mit einer gewissen Frequenz und Lautstärke vibrieren. Viele vibrationsbestäubte Pflanzen weisen einen sehr ähnlichen Blütentyp mit zurückgeschlagenen Blütenblättern und kegelförmig angeordneten Staubblättern auf, zum Beispiel in der Gattung Solanum (Tomaten, Kartoffeln) oder bei Actinidia (Kiwi).
In der großen tropischen Pflanzenfamilie der Melastomataceae (Schwarzmundgewächse) ist hingegen eine enorme Vielfalt an vibrationsbestäubten Blüten entstanden, und es kommen sowohl Blüten mit kegelförmigen Staubblättern als auch Blüten mit komplex angeordneten Staubblättern und auffälligen Staubblattanhängseln vor. Inwieweit diese Blütenvielfalt Anpassungen an unterschiedliche Bienenarten darstellt, und welche Blütenmerkmale (z.B. Blütenduft, Blütenfarben, Pollenmenge, Blütengröße, biomechanische Vibrationseigenschaften der Blüten) in der Spezialisierung auf unterschiedliche Bienenarten wichtig sind, ist jedoch unklar.
In ihrem Forschungsprojekt kombinieren die Forscher*innen Ansätze der Bestäubungsbiologie und Blütenevolution (Agnes Dellinger, Universität Wien) mit Methoden der Mechatronik (Ernst Csencsics, TU Wien), um zu erforschen, wie sich Melastomataceae-Blüten an vibrationsbestäubende Bienen angepasst haben. Hierzu werden Blüte-Bestäuber-Interaktionen gemeinsam mit lateinamerikanischen Kolleg*innen direkt in natürlichen Habitaten in Lateinamerika dokumentiert. Zusätzlich werden mithilfe eines selbst konzipierten Vibrationssystems künstliche Blütenvibrationsexperimente durchgeführt. Weiters werden die Blütenstrukturen im Computertomographen untersucht, und mittels Computersimulationen und 3D-Drucken die biomechanischen Eigenschaften der Blüten nachgestellt.
Zur Kalibrierung und Weiterentwicklung der Blütenvibrationssysteme sowie der Computersimulationen werden Experimente mit den im Botanischen Garten der Universität Wien verfügbaren Melastomataceae durchgeführt.
Die Kombination bestäubungsbiologischer und mechatronischer Ansätze erlaubt es, sowohl ökologische Interaktionen als auch biologische Strukturen nach Prinzipien der Physik zu untersuchen. Da Vibrationsbestäubung bei etwa 10 % der Blütenpflanzen auftritt, darunter wichtige Nutzpflanzen, sind die Erkenntnisse für die Grundlagenforschung genauso relevant wie für die Agrarwirtschaft.
Projektleitung: Agnes Dellinger, Abteilung für strukturelle und funktionelle Botanik, Universität Wien
Gefördert durch: FWF (Österreichischen Wissenschaftsfonds) und den ERC (European Research Council)
Projektlaufzeit: FWF Projekt 01.06.2023–31.05.2027; ERC Projekt 01.10.2024–30.09.2029