Pappeln: "enfants terribles" unter den Bäumen?
Populus – Salicaceae
Pappeln sind ökologisch und wirtschaftlich wichtige und biologisch faszinierende Baumarten, man findet sie in vielen Wäldern der nördlichen Hemisphäre. Viele Pappelarten sind noch recht jung, daher können sie sich kreuzen, wo sich ihre Verbreitungsgebiete überlappen; man spricht von "Hybridzonen". Was passiert, wenn zwei verschiedene Arten zueinanderfinden? Kollabiert die Artbarriere und eine Art "unterwandert" das Genom der anderen und führt zu deren Auslöschung? Oder bleiben beide Arten bestehen und tauschen sogar ökologisch wichtige, anpassungsrelevante Gene aus – eine echte Chance in Zeiten rascher weltweiter Veränderungen? Fragen wie diese stellen wir in diesem Feldversuch mit einheimischen Silber- und Zitter-Pappeln und ihren natürlichen Kreuzungsprodukten unter Einsatz genomischer Untersuchungsmethoden.
In vielen Pflanzen- und Tiergattungen kommt es vor, dass sich biologisch verschiedene Arten auch Hunderttausende oder Millionen von Jahren nach ihrer Enstehung immer noch kreuzen können, man spricht von Hybridisierung. Das geschieht oft an Orten, an denen die Verbreitungsgebiete oder Migrationsrouten nahe verwandter Arten aufeinandertreffen, sogenannte "Hybridzonen". Was hier passiert ist vergleichbar mit einem Würfelspiel: die Gene zweier (oder mehrerer) Arten werden durch genetische Rekombination "durcheinandergewürfelt", ein natürlicher Prozess. Es entstehen völlig neue Kombinationen von Genen, daraus ergibt sich eine große Vielfalt an Formen und anderen biologischen Merkmalen, die für das Überleben wichtig sind. Das betrifft auch die Gene für die Abwehr von Fraßfeinden und Pathogenen, bei Bäumen etwa kann sich die erhöhte Vielfalt auf ganze Gemeinschaften von Organismen auswirken. Diese Vorgänge untersuchen wir in einem Experiment mit Pappeln und ihren Mitbewohnern.
Die Silber-Pappel (Populus alba) und die Zitter-Pappel (Populus tremula) sind zwei verwandte aber ökologisch sehr unterschiedliche Baumarten.
Die Erstgenannte tritt häufig in Auwäldern auf, z.B. in den Donauauen, sie toleriert Überflutungs- und Trockenperioden. Die Zweitgenannte wächst in weniger "stressigen", dafür höheren, kühleren Lagen, z.B. im Wienerwald. Die beiden Arten bilden Hybridzonen wo Auwälder an benachbarte Gebirge grenzen, zum Beispiel an der Donau um Wien, am Ticino in der Schweiz und Italien, oder an der Theiß in Ungarn. Die beiden Arten sind morphologisch sehr verschieden und genomischen Daten zufolge begannen sie bereits vor mehr als 2,5 Millionen Jahre sich evolutionär zu trennen. Was passiert in ihren Hybridzonen und wie wirkt sich das auf ihre Mitbewohner aus?
In diesem Feldversuch untersuchen wir Vertreter beider Elternarten und eine große Anzahl von natürlich entstandenen Hybriden. Die DNA aller Pflanzen im Versuch wurde bereits teils molekular entschlüsselt, daher wissen wir welche Bäume natürlich rekombinante Hybride sind – ein "genomisches Mosaik" – und welche nicht. Die ca. 200 Pflanzen unterscheiden sich nicht nur sichtbar in Form- und Farbmerkmalen ihrer Blätter, sondern auch in ihrem Wuchsverhalten, ihrer Phänologie (d.h. ihrem "Timing" über das Jahr hinweg), und ihrer Anfälligkeit für Fraßfeinde wie z.B. Pilze und Insekten. All diese Merkmale messen wir über Jahre hinweg, die Studierenden bekommen so Einblick in Probleme, Fragestellungen, und Arbeitsweisen in der modernen Biodiversitätsforschung.
Die Ergebnisse werden zeigen wie sich erhöhte genetische Vielfalt – in diesem Fall durch Hybridisierung – auf das Überleben und die Gesundheit der Bäume auswirkt, und welchen Effekt sie auf ihre Mitbewohner wie Pilze und Insekten hat. Wir erhoffen uns auch neue Erkenntnisse über die Folgen der Hybridisierung für die Zukunft dieser beiden heimischen Baumarten: totaler Kollaps der Artbarriere, oder selektiver Austausch von ökologisch relevanten Genen zwischen Arten. Gehen die beiden "Hauptakteure" gar mit gestärkten Artbarrieren aus dieser Begegnung hervor? Die nächsten Jahre sollten es zeigen. (C. Lexer, 2017)